One Step Beyond. Link zur Sprachwahl-Seite

Luena

Luena

Luena ist eine afrikanische Stadt mit vielleicht 150.000 Einwohnern. Genau weiß das keiner. Einige zählen 60.000 Menschen plus 30.000 Flüchtlinge, andere vermuten 200.000 Menschen und dazu noch 60.000 Vertriebene. Eine exakte Zählung gibt es nicht.

Genauer lässt sich die Zahl derjenigen bestimmen, die durch das Welternährungsprogramm der UN versorgt werden: November 2001: 32.000 Flüchtlinge und Bedürftige müssen aus der Luft versorgt werden. Mit 800 bis 1.000 Tonnen Nahrungsmitteln pro Monat. Letztlich mangelt es auch hier an genauen Zahlen über die Empfänger. Die Zahlen ändern sich täglich. Im November erreichen 4.000 neue Flüchtlinge Luena. Oder sollte man sie "Deportierte" nennen? Oder "Vertriebene"? Sergio vom "World Food Program": "Lukas, forget the data! There are no data. We do our jobs. We estimate the number of refugees. But the data change every day. You have to look into the people's faces."

Das hier ist ein Ort mit strengen und seltsamen Gerüchen. Luena ist eine Stadt mit vielen Bäumen und einer überwältigenden grünen Natur. Der Boden ist Sand. Die Straßen sind Pfade, löchrig und unbefestigt, abgesehen von einigen asphaltierten Wegen in der Stadt. Es ist warm in Luena, beinahe heiß. Und es ist feucht. Du vergisst zu trinken. Du musst dich geradezu zwingen, ständig Wasser zu trinken. Außerdem isst du zuwenig. Es gibt auch nicht jederzeit Nahrung. Du kannst nicht einfach in einen Laden, ein Restaurant oder eine Imbisstube gehen, um etwas zu essen zu bestellen. Die tägliche Ernährung muss gut geplant werden.

Luena ist eine Stadt mitten im Kriegsgebiet. Auch wenn in der Stadt selber keine Kämpfe stattfinden, der Bürgerkrieg ist offensichtlich. Die vielen Kriegsflüchtlinge in den Lagern. Viel Militär. Spuren der früheren Kriegshandlungen, überall. Einige Kleinflugzeuge, Helikopter meist oder kleine Aufklärungsmaschinen düsen durch die Luft. Nachts hört man oft Schüsse; meist von betrunkenen Soldaten, auf dem Rückweg in die Kasernen. Luena: eine rundum zerstörte Stadt. Kaputte Häuser und von Artillerie zerschossene Ruinen. Nachts ist es stockdunkel draußen. Keine Laternen, keine Elektrizität. Am Straßenrand sitzen Kinder um kleine Feuerstellen herum. Hier und da auch Zeichen für eine Erholung des Ganzen: Ein paar frisch gepflanzte Blumen vor einer Bar, geschützt mit Militärstacheldraht – vor spielenden Kindern. Einige Häuser scheinen vor kurzem frisch gestrichen worden zu sein.

Sebastian stellt mich den vielen Leuten vor. Da gibt es Nephas und die anderen Mitarbeiter vom Jesuiten-Orden, dann die Lutheraner. Wir fahren zum Aufnahmelager, wo neue Flüchtlinge von der OCHA (Organisation for Coordination of Humanitarian Affairs) registriert werden und sprechen kurz mit dem Direktor der Organisation. Und wir treffen Sharon von der Mines Advisory Group (MAG), einer der internationalen Organisationen, die hier Minen räumen. Sharon teilt uns mit, dass am Wochenende eine "Demolition" stattfinden wird. Ein ziemlich spektakuläres Ereignis, bei dem die Minenräumer Minen und andere Kampfmittel wie Granaten und Raketen kontrolliert in die Luft jagen. Sharon zeigt uns auf zum Teil handgezeichneten Karten die aktuell bearbeiteten Minenfelder und die Gebiete, die schon erfolgreich geräumt wurden.

Wir fahren über holprige sandige Wege. Überqueren kaputte Gleise und passieren verrottete Häuser. Viele Menschen sind auf den Straßen unterwegs. Laufend, rennend, Güter auf ihren Köpfen tragend. Einzeln, oder in Gruppen. Die Privilegierten haben ein Fahrrad. Immer wieder Soldaten auf den Ladeflächen von Militärlastwagen. Und viele, viele Menschen denen ein Bein fehlt. Allein aus Luena wurden mehr als 600 Menschen von Minen verstümmelt.

Der Markt ist voller Menschen. Das meiste liegt einfach auf dem Boden und zum Schutz gegen die Sonne stehen überall bunte Schirme. Verkauft wird hier das Lebensnotwendige. Bohnen, Maniokblätter und -wurzeln, ein paar Früchte und Tomaten. Schließlich auch einige Konserven mit Nahrung oder Getränken als Inhalt.

Es gibt Bier in Luena, Dosenbier. Auf den Dosen vom südafrikanischen Castle-Beer steht: "Keep your country tidy!" Eine Dose kostet 30 Kwanzas (1.10 USD). Dreimal soviel wie in der Hauptstadt Luanda. Coca Cola ist ebenso teuer. Zigaretten gibt es natürlich auch. Ganz selten (und sehr teuer) sind Marlboros. Und das war's mehr oder weniger mit den offensichtlich kapitalistischen Konsumgütern. (Vergessen wir mal die paar alten Radios, mit denen einige der Kinder herumlaufen). Das Telefonnetz ist seit Monaten außer Kraft gesetzt. Die Verbindung mit der Außenwelt geht (funktioniert) nur über Satelliten-Telefon.